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Widerstand um jeden Preis – Völkische Symbole und rechte Bündnisse auf Bauernprotesten

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Protestzug in Berlin (Recherche Netzwerk Berlin)

Dieser Artikel erschien vor kurzem im Antifaschistischen Infoblatt. Er ist die Fortsetzung zu unserem Artikel Die Bauernproteste und die Krise der Landwirtschaft.

Am 25. Januar 2021 machten sich Landwirt_innen aus ganz Deutschland in ihren Traktoren auf den Weg nach Berlin, um gegen niedrige Preise im Lebensmitteleinzelhandel und diverse Umwelt- und Naturschutzauflagen zu protestieren. Es gab Mahnwachen, Treffen mit Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Traktorkorsos durch die Stadt. Was ursprünglich für eine Woche geplant war, lief bis weit in den Frühling hinein. Diese Protestwochen gingen von einer Bewegung aus, die unter dem Schlagwort “Bauernproteste“ zusammen gefasst wird. Sie will auf die schwierige ökonomische Situation der Landwirt_innen aufmerksam machen. Dies erscheint als ein legitimes Anliegen. Doch es lohnt sich, genau hin zuschauen, denn rechte, rechts-offene sowie verschwörungsideologische Tendenzen werden in der jungen Bewegung immer stärker.

Hintergründe der Proteste

Ein wichtiges Ziel der Proteste ist die Preispolitik des Lebensmitteleinzelhandels. Die vier größten Gruppen – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl & Kaufland)- kontrollieren nach Angaben des Bundeskartellamts zusammen mehr als 85 Prozent des Lebensmittelmarktes in Deutschland. Diese enorme Marktmacht gibt ihnen die Möglichkeit Preise zu drücken. Landwirt_innen erhalten für die von ihnen erzeugten Produkte immer weniger Geld. Während 1970 noch 19% des Brotpreises an die Erzeuger_innen gingen waren es 2019 nur noch 4%. Bei Milch sank der sank der Anteil von 57% auf nun 39%. Unter anderem diese Entwicklung begünstigt das Höfesterben. Laut einem Bericht des Bundeslandwirtschaftministerium (2020) wurden seit dem Jahr 2001 etwa 38% der Rinderhaltungen, 53% der Hühnerhaltungen und rund 82% der Schweinehaltungen aufgegeben.

Darüber hinaus richten sich die Proteste aber auch gegen vermeintlich zu strenge Auflagen in den Bereichen Umwelt-, Klima- und Tierschutz. Insbesondere das neue Düngemittel- und das Insektenschutzgesetz stoßen auf Widerstand.

Seit Corona kamen für die Landwirtschaft weitere Probleme hinzu wie etwa fehlende Saisonarbeiter_innen oder die Schließung von Schlachtfabriken. Viele Landwirt_innen sehen sich also einem enormen ökonomischen, aber auch gesellschaftlichem Druck ausgesetzt.

Traditionell wird die konventionelle deutsche Landwirtschaft durch CDU/ CSU und den DBV (Deutscher Bauernverband) vertreten. Beiden wird jedoch eine wachsende Distanz zur Basis vorgeworfen. Ende 2019 gründete sich die Gruppe „Land schafft Verbindung“ (LSV), welche eine Gegenposition zum DBV einnimmt. Sie rief im Januar 2020 zu einer ersten großen Traktor-Demonstration in Berlin auf. Seit dem hat sich eine Protestbewegung formiert, die sich während der Coronapandemie zunehmend radikalisiert hat.

Nähe zu Verschwörungsideologien und Corona-Leugner_innen

Das gesellschaftliche Interesse an Themen wie Klimawandel, Tierrechten oder Artensterben hat in den letzten Jahren enorm zugenommen und geht oft mit Kritik an der industriellen Landwirtschaft einher. Vielen Landwirt_innen empfinden dies als ungerechtfertigte Schuldzuweisung. Typisch für die Bauernproteste ist deswegen eine starke Ablehnung von Klima- und Umweltschutz, die oft mit einer feindlichen Haltung gegenüber NGOs, Presse und Wissenschaft einhergeht. Dies erweist sich momentan als ein fruchtbarer Nährboden für Verschwörungsideologien.

Beispielsweise gibt es große Sympathien zwischen den Bauernprotesten und der klimawandelsekeptischen Gruppe Fridays for Hubraum (FfH). FfH ist eine Facebookgruppe, die sich als Gegenprotest zu Fridays for Future gründete. Sie erfuhr insbesondere von der AfD viel Unterstützung und musste im Herbst 2019 für eine Weile geschlossen werden, nachdem rechtsradikale Botschaften und Morddrohung Überhand nahmen. Landwirt_innen zeigen sich auf den Aktionen gerne mit FfH Logo. Der LSV nahestehende Textildruck Grommes bietet sowohl LSV, als auch FfH-Merch an. Und auch FfH teilt auf Facebook und Telegram regelmäßig Artikel und Videos der Bauernproteste.

Aber nicht nur Klimawendelskeptiker_innen haben einen Platz in den Reihen der Bewegung. Insbesondere in den Telegramgruppen rund um LSV und die Bauernproteste (beispielsweise „LSV- Niedersachsen“, “Aktuelle Berichte, Termine und Treffpunkte zu den Bauernprotesten“, „Landvolk schafft Verbindung“ und „Freie Bauen Deutschland“) wimmelt es von Querdenken-Positionen und andere Verschwörungsideologien. Nahezu völlig unkommentiert von allen gemäßigten Abonnent_innen werden wissenschaftsfeindliche oder rechtsradikale Inhalte aus Verschwörungs-Gruppen wie „ThanQ Q 2Q21“ (Q-Anon), „Yellow Roses“, „Digital Soldiers Germany“ oder „Arminius Erben“ geteilt. Ebenso diverse Abbildungen, die Corona als Lüge oder Verschwörung darstellen. Besonders unverhohlen rechts sind die Inhalte der Gruppen „Landvolk schafft Verbindung“ und „Freie Bauen Deutschland“.

Aber auch auf öffentlicheren Kanälen mangelt es an Abgrenzung von Verschwörungsideologien. Erst im Januar teilte LSV auf Facebook ein Video auf dem Landwirt_innen auf einer Querdenken-Demo in Berlin mit „Stopp Corona Lüge“ Ballon zu sehen sind. Im gleichen Video wird auf einem Schild das Insektensterben mit dem Ausbau des 5G-Netzes in Zusammenhang gebracht.

Besonders deutlich zeigte sich die Nähe zur Querdenken-Szene während der Landwirtschaftsproteste Anfang des Jahres in Berlin. Querdenker_innen mobilisierten breite Unterstützung in Form von Essens- und Sachspenden und beteiligten sich Rege am Protest. Der populäre Querdenken-YouTube-Kanal „Anni und Martin“ begleitete die Proteste wochenlang und diverse Landwirt_innen inklusive offizieller Sprecher_innen ließen sich gutwillig von diesen interviewen und teilten die Videos später über die eigenen Kanäle. Abgrenzungen gab es von vereinzelten Redner_innen, doch zu einem klaren Ausschluss oder einer öffentlichen Distanzierung, beispielsweise durch LSV, kam es nie. In den Kommentaren der diversen Gruppen zeigt sich deutlich, dass dies auch nicht von allen Landwirt_innen gewünscht ist.

AFD

Die AfD erkannte schnell ein Potential in der jungen Bewegung. So wirbt AfD-Bundestagsabgeordneter Stephan Protschka auf der Parteihomepage, die „AfD ist die neue Heimat für Landwirte, die der CDU den Rücken kehren“. Bereits im Oktober 2019 fuhr die AfD ungehindert mit eigenem Traktor auf einer Demonstration in Erfurt mit. (Weitere Demonstrationen fielen auf, weil dort ein NS-Symbol gezeigt wurde bzw. weil sie von einem AFD-Mitglied angemeldet wurden.)

Die Rolle der AfD für die Bauernproteste ist umstritten. Während der ehemalige LSV-Bundessprecher Sebastian Dickow sich von der AfD abgrenzte, weigerte sich die ehemalige niedersächsische LSV-Sprecherin Henriette Struß, sich von der Partei zu distanzieren. Die genauen Gründe für Dickows Rücktritt sind ungeklärt. Er warnte jedoch kurz danach vor einer Radikalisierung der Gruppe.

In der Telegramgruppe „LSV Niedersachsen“ wird sich mehrfach positiv auf die AfD bezogen und Inhalte von Stephan Protschka kritiklos geteilt. Dort fallen Äußerungen wie „Die AfD ist in meinen Augen die einzige Partei die glaubhaft für mehr nationale Selbstbestimmung und weniger Weisungsbindung aus Brüssel steht.“ oder „Ich sehe ganz genau, wer gerade Politik für uns macht 😉 Protschka zählt dazu“. Als ein Nutzer sich im Juni 2020 schockiert über die AfD-freundlichen Kommentare zeigte wurde er von diversen Mitgliedern der Gruppe nieder geredet und als „Gesinnungsgestapo“ beschimpft. Die Antifa wurde als Terrorgruppierung bezeichnet, die es mit einem Traktor zu überfahren gilt. Der Nutzer erhielt keinerlei Rückhalt aus der Gruppe und verließ diese am Ende des Tages.

Die Berührungsängste mit der AfD schrumpfen merklich. Im Oktober 2020 traf sich LSV Sachsen zu Gesprächen mit der Partei. Dies wundert kaum, denn bei der letzten sächsischen Landtagswahl holte die AfD bei den Landwirt_innen die meisten Stimmen. In anderen Bundesländern war dies noch nicht der Fall, aber es ist abzuwarten, ob dem so bleibt.

Landvolksymbol

Die Landvolk-Bewegung war eine Vereinigung von protestierenden, norddeutschen Bauern & Bäuerinnen während der späten 1920er Jahre. Diese litten unter der Wirtschaftskrise und dem sich nach Europa öffnendem Markt. Ab 1929 übte die Bewegung zahlreiche Bombenanschläge auf Gemeindevorsteher, Regierungs- oder Amtsgebäude. Margarethe Hamkens, die Witwe des Landvolk-Anführers Wilhelm Hamkens, berichtet in der Dokumentation „Stumpfe Sense – Scharfer Stahl“, dass sie sich dabei von den Bombenanschlägen des Ku-Klux-Klans inspirieren ließen. Diesem hatten einige Landvolk-Aktivisten während ihrer Zeit in den USA nahe gestanden hatten. Das Symbol der Bewegung war ein weißer Pflug und ein rotes Schwert auf schwarzem Grund. Es ist mittlerweile ein ständiger Begleiter der heutigen Proteste und wird auf Flaggen, Mützen und Masken präsentiert. Im Juni 2020 stellten Landwirt*innen es sogar mit Traktoren für ein Luftbild nach. Auch bei den Protesten in Berlin war das Symbol wieder massenhaft vertreten.

Die historische Nähe zu völkischem und rechtem Gedankengut und der NSDAP wird dabei bewusst ausgeblendet oder geleugnet. Denn die NSDAP erkannte schnell das Potential der wütenden Landwirt_innen für ihre eigenen Zwecke. Zwischen beiden Gruppen gab es deutliche ideologische Überschneidungen wie völkische Einstellungen, Antisemitismus und eine romantische Verklärung des Bauernstande. Die NSDAP passte ihr Parteiprogramm explizit an die Forderungen der Landvolk-Bewegung an. Sie zeichnete von sich das Bild der einzigen Partei, die etwas für de Bauern tun würden, wobei sich sich jedoch von Bombenattentaten und anderen radikalen Aktionen distanzierte. Als Anfang der 30er deutlich wurde, dass die Landvolk-Bewegung keine politischen Erfolge vorzuweisen hatte, liefen seine Anhänger_innen massenhaft zur NSDAP über. In den Landkreisen Schleswig-Holsteins, in denen die Landvolk-Bewegung besonders aktiv war, wählten 1933 mehr als 60% der Bevölkerung die NSDAP. Im deutschen Durchschnitt waren es 44%. Der Erfinder des Landvolkysmbols, Peter Petersen, trat in den 30ern selbst als Sprecher auf Wahlkampfveranstaltungen der NSDAP auf.

Der völkische und antisemitische Charakter und der direkte Beitrag der Bewegung zum hohen Wahlergebnis der NSDAP in Schleswig-Holstein ist nicht zu übersehen. Für die Verwendung des Landvolk-Symbols hagelte es deswegen im letzten Jahr Kritik von Presse, DBV und Politik. Während sich Teile von LSV vom Symbol distanzierten, verteidigten diverse aktive Landwirt_innen es vehement als ein Symbol des Widerstands, das zu unrecht in die „rechte Ecke“ gestellt wird.

Fazit

Bei den Bauernprotesten handelt es sich um eine sehr heterogene Bewegung, in der durchaus unterschiedliche Positionierungen zu finden sind. Jedoch scheinen die Landwirt_innen, die sich kritisch zu Querdenken, AFD und Landvolksymbol positionieren in der Minderheit oder zumindest extrem zurückhaltend zu sein. Ihnen gegenüber steht eine sehr aktive Gruppe von Aktivist_innen, die sich nicht scheuen, völkische Symbole zu verwenden und Bündnisse mit der AfD und andere rechten oder verschwörungsideologischen Strömungen einzugehen. Dies liegt unter anderem auch daran, dass es aus diesen Milieus ein breites Unterstützungsangebot gibt. Linke Bewegungen beschäftigen sich hingegen fast gar nicht mit den Protesten. Dies überrascht nicht, denn das Thema Landwirtschaft und Ernährung wurde in der Linken lange eher stiefmütterlich und als Problematik individueller Konsumentscheidungen behandelt. Die Agrarindustrie ist jedoch eine gewaltige Industrie, die die Klimakrise anheizt, neokoloniale Praktiken fortsetzt, Landarbeiter_innen und Nutztiere ausbeutet und nicht zuletzt kleinen landwirtschaftlichen Betrieben die Lebensgrundlage entzieht. Die Linke sollte nicht rechten Bewegungen das Feld überlassen, sondern eigene Positionen entwickeln: Für eine solidarische und klimagerechte Landwirtschaft, die ökologische Krisen, globale Perspektiven und die Situation der Nutztiere mitdenkt.

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